Matthew Phipps Shiel: Die purpurne Wolke

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Rezension zu Matthew Shiels Endzeitklassiker ‘Die Purpurne Wolke’

Eine Buchbesprechung von Rob Randall

Er gehört zu den Klassikern, der Roman Die purpurne Wolke von Matthew Phipps Shiel aus dem Jahre 1901, und gleichzeitig zu den wenigen Werke des frühen Science Fiction der Jahrhundertwende, die nicht dem Vergessen anheim gefallen sind. Er setzt das aus der Romantik entspringende postapokalyptische Genre des Letzten Menschen, zu dem auch Mary Shelleys Werk Verney aus dem Jahre 1826 gehört, fort und ist mit diesem zum Prototyp einer ganzen Reihe von erfolgreichen Nachfolgern geworden, auch indem er indirekt Autoren dazu inspirierte, sich literarisch mit dem dystopischen Genre einer sterbenden Welt auseinanderzusetzen. Hier sei als Beispiel nur eines, Stephen Kings Das letzte Gefecht (The Stand) aus dem Jahre 1978, genannt. 1958 wurde der Roman mit Harry Belafonte in der Hauptrolle unter dem Titel Die Welt, das Fleisch und der Teufel (wohl stark verändert) verfilmt. Eine englische Onlineversion des erst 1982 in deutscher Sprache erschienen Romanes ist übrigens kostenlos verfügbar.

Der Inhalt in Kürze

Dem jungen Arzt Adam Jefferson verschafft der Mord seiner ruhmsüchtigen und egoistischen Verlobten Clodagh an einem Forscher die unerhoffte Möglichkeit, an einer geplanten Polarexpedition teilzunehmen. Demjenigen, der als erster den Pol erreicht, winkt eine dreistellige Millionensumme. Jefferson  gelingt dieses  durch einen ‘Trick’ tatsächlich, er macht sich nacht alleine auf und schafft es bis zum Nordpol, dort entdeckt  er ein geradezu fremdartig und mystisch wirkendes Artefakt. Auf dem Rückweg macht er jedoch einen rätselhaften purpurnen Nebel (Zyangas) aus, von dem er später feststellen muss, dass er offensichtlich die gesamte Menschheit getötet hat. Weder in Skandinavien noch in England kann er Überlebende entdecken – und so macht sich der an seiner Einsamkeit leidende und langsam dem Wahnsinn anheimzufallen scheinende Protagonist auf, die anderen Kontinente des leblosen Planeten zu erkunden. Die vorbeiziehenden Jahre verbringt er einerseits damit, sich einen geradezu unwirklichen Palast zu errichten, andererseits mit dem Niederbrennen der menschenleeren Städte, was ihn zwar nicht von seiner Einsamkeit heilt, ihn aber von seinen Schuldgefühle angesichts der möglicherweise von ihm ausgelösten Vernichtung der Menschheit ablenkt. Dennoch beschließt der englische Adam  nach dem unvermeidlichen Fund seiner Eva , der Berufung zum Stammvater einer neuen Menschheit nicht folge zu leisten,  denn eine scheint ihm schon schlimm genug – eine Entscheidung, die  seine junge Eva aber  so nicht akzeptieren will.

Dem ganzen geht  – wie auch den Romanen The Last Miracle (1906) und The Lord of the Sea (1901) – ein an den Autor gerichtetes einleitendes Schreiben eines fiktiven Arztes voraus. Dieses weist den folgenden Roman als visionäre, aber – aufgrund angeblicher Beweise für die besonderen Fähigkeiten der hypnotisierten Patientin – auch glaubhafte Beschreibung zukünftiger Ereignisse aus. Somit ist The Purple Cloud, wie Dawid Hartwell feststellt, Teil einer Trilogie, die das Ende der uns bekannten Menscheit und den Anfang einer neuen ‘Rasse’ bechreibt.

Beurteilung

Ich muss es gleich zu Beginn gestehen: Mir ist es nicht gelungen, den Roman am Stück zu lesen. Grund hierfür dürften nicht nur der ausschweifende Erzählstil des Autors, sondern auch das Fehlen einer das Werk verklammernden Spannungskurve sein. Ersteres erklärt sich – wie ich dem Nachwort David Hartwell entnehmen konnte – auch aus der Tatsache, dass die englischen Journalisten der Jahrhundertwende nach der Anzahl der Wörter bezahlt und so zu einem wenig straffen Stil ‘erzogen’ wurden. Der Grund dafür, dass zwar Interesse am Fortgang der Handlung aufkommen mag, aber leider keine wirkliche Spannung entsteht, lässt sich auch hierin sehen: Es sind die zahlreichen, teilweise übrigens beeindruckend düster wirkenden, Beschreibungen der mit Leichen übersähten Städte und Dörfer, die das Werk unverhältnismäßig in die Länge ziehen. Hinzu kommt, dass sie von Anfang an den Charakter der Wiederholung tragen – die Beschreibung von drei oder vier Geisterstädten hätte gereicht, Shiel belässt es dabei aber leider nicht. Es sollte hier aber nicht der Eindruck aufkommen, das Buch sei schlecht geschrieben, sprachlich hat es mir – von seiner teilweise barocken Fülle einmal abgesehen – ganz gut gefallen.

Teilweise erscheint mir aber der zentrale Konflikt in der Psyche des Helden, wie auch einige seiner Taten,  nicht sehr sinnvoll motiviert zu sein. Möglicherweise liegt dieses aber  an dem zeitlichen Abstand, der zwischen dem heutigen Leser und dem Entstehungszeitpunkt des Werkes liegt. So ist es mir beispielsweise wenig einsichtig, dass Adam seine Eva derart schlecht zu Beginn behandelt. Der zwischen Gut und Böse ausgetragene Konflikt in der Seele des Protagonisten, welcher sich aber letztendlich auf die Frage beschränkt, ob dieser der ‘göttlichen’ Bestimmung, Stammvater einer neue ‘Rasse’ von Menschen sein, nachkommen soll, ist wenig tiefgehend. Die um ihn herum errichtete Dramaturgie der Verweigerung wirkt an einigen Stellen heute geradezu lächerlich. Und, um es zudem einmal platt zu sagen, nach beinahe 2 Jahrzehnten zöllibatären Daseins erwartet man zudem bei dem Fund einer 20-jährigen orientalischen Dame etwas anderes – selbst wenn der Protagonist ein romantischer Engländer oder  vagabundierender Halbirrer ist.

Fazit

In seinem Nachwort weist David Hartwell darauf hin, dass die anderen Werke Shiels aufgrund ihrer mangelnden Qualität eher zur Literaturgeschiche als zur Literatur gehören würden. Ich würde meinen, dass dieses für Die purpurne Wolke schon ebenfalls gilt: Für den an der Geschichte des Genres interessierten Leser mag sie mit Genuss noch lesbar sein – der ‘durchschnittliche’ Leser wird an dem Werk aber vermutlich wenig Freude haben. Angesichts der mit Abstrichen qualitativ doch gelungenen Sprache sowie der immerhin noch streckenweise den Leser interessierenden, wenn auch nicht fesselnden Handlung: Höchstens literarisches Mittelfeld.