Übersichtsschema: Is it Dystopia?

Der angehende Autor Erin Bowmann hat innerhalb einer Diskussion ein Schema veröffentlicht, das vielleicht nicht nur für diejenigen unter euch interessant sein könnte, die bisher noch nicht zwischen Postapokalyse und Dystopie unterschieden haben. Das Schema möchte ich mit euch teilen, obwohl mir der Status der “Isolated Dystopia” doch höchst fraglich erscheint… Was sagt ihr dazu?

 Is it Dystopia? A flowchart for de-coding the genre by Erin Bowman is licensed under a Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivs 3.0 Unported License. Based on a work at www.embowman.com. Feel free to share it for non-commercial uses.

Schon 12 Kommentare zu: Übersichtsschema: Is it Dystopia?

  1. Finde diese Übersicht super, denn inzwischen bekommt ja jedes zweite Buch den Stempel Dystopie aufgedrückt, damit es sich besser verkauft, egal ob es stimmt oder nicht ;-)

    • Ja, im Moment verkaufen sich Dystopien so gut, dass alle möglichen Romane mit dem Etikett versehen werden… aber: was sagst du zur Isolierten Dystopie? Ist das nicht seltsam, dass hier eine Gesellschaft vorherrscht, die eher den failes societies der postapoc-Werke ähnelt als den klass. Dystopien?

      • Ich habe beide Bücher, die als Beispiel für Isolated Dystopia genannt werden, nicht gelesen, also kann ich dazu nicht viel sagen. Allerdings müssten dann wohl fast alle dystopischen Bücher dieser Kategorie zugeordnet werden. Was ist z. B. mit Matched, das als Dystopiebeispiel dient? Es wird im Buch zwar nicht explizit gesagt, wie die restliche Welt aussieht, aber der Leser weiß, dass das beschriebene System sich nur auf die USA bezieht. Ist doch dann auch isoliert?!

        • Entschuldige, dass ich dir erst jetzt antworte. Dein Kommentar ist irgendwie untergegangen :( Die Isolation ist gerade ein typisches Merkmal der Utopie (Insel, Mauer, Kuppel, etc.) Deshalb halte ich von der Idee einer Isolated Dystopia nicht viel. Nun zu deiner Frage: Normalerweise müsste sich die U.S.A. deutlich von der restlichen Welt abgrenzen… es ist kaum eine totalitäre Gesellschaft denkbar, die alle Kommunikations- und Reisewege offenlässt.

  2. Diese isolierte Dystopie finde ich interessant. Obwohl meiner Meinung nach The Maze Runner nur am Anfang eine “isolierte” Dystopie ist, später eine “normale”. Das Schema ist jedenfalls sehr interessant. Ich hab schon Bücher gesehen, auf deren Rückseite “Der neue Orwell”, “eine Vision á la ’84″ stand, die mich dann aber enttäuscht haben und die nicht annähernd diese “Würdigung” verdient haben.

  3. Ich sehe das genauso: Eine Menge der Werke, die als 1984-würdig verkauft werden, sind es nicht – 1984 ist meiner Ansicht nach einfach immer noch ungeschlagen… aber das betrifft ja eher die Qualität eines Werkes und wenig er die Zuordnung zu einem Genre. Ich habe mal nach dem Begriff der isolated Dystopie gegoogelt, habe aber nichts gefunden, was darauf hindeuten würde, dass dieser Begriff in der Literaturwissenschaft Verwendung findet – zumal Isolation ein grundlegendes merkmal aller Utopien und Anti-Utopien ist.

  4. “– 1984 ist meiner Ansicht nach einfach immer noch ungeschlagen…”

    würd ich mich anschließen. . .

    isolierte Dystopie ist aber immer noch Dystopie (ob am ende ne DEUS EX MACHINA kommt ist fürs Szenario eigentlich unerheblich, in Goldings Fall natürlich nicht für die Message), denn beide “Gen-Reh”s (saudummes Wort in dem Fall) spielen grundsätzlich in isolierten Szenarien. auch wenn es sich auf die ganze Welt bezieht isses ja immer noch ne “geschlossene Gesellschaft”.
    man müsste systematischer Trennen, etwa nach der Herkunft des Szenarios (die etwa bei den großen, 1984 und BNW nicht erzählt werden. das eine mal wird sie auf “INGsoz”, also irgendeine pervertierte Form des Sozialismus (wenn ichs mir recht überleg wäre Marx wohl sowas wie steampunk vorgeschwebt, aber er hat ja angesichts ständig veränderlicher technisch-gesellschaftlih-kultureller Entwicklung gar kein Ziel vorgeben wollen) oder in BNW auf Fordismus zurückgeführt, genau erzählt wird aber nichts).

    Gerade die Herkunft eines statischen Systems würde ja andeuten, dass sich die festgefahrene Situation wieder ändern könnte. . .
    unsere “offene Gesellschaft” (n. Popper) wäre also aus der Sicht dieser beiden großen “Dystopien”* eben in ihrer Veränderlichkeit eine Dystopie.

    * die Vorworte zu späteren Ausgaben lassen übrigens daran zweifeln, dass Huxley BNW wirklich als Dystopie gemeint hatte (“man hätte noch mehr inseln für intellektuele einführen müssen, dann wärs perfekt gewesen. . .”), was für mich gerade die Literarische Qulität des Werks begründet.

    und das fehlt auch in diesem Diagramm. Die Linke seite ist klar stärker und reizt mich, eine story zu schreiben, die gerade aus zweifelhaften motiven, nur diesmal besser nicht linke oder rechte politik im klassischen sinne, in eine solche Udystopie führt.

    ME hat der Grafiker nur zur deutlichen Trennung von Dystopien und Postapokalyptischen Szenarien beitragen wollen, was an sich löblich ist, aber im endeffekt nicht notwendig.
    In einem PA-Sz. wird die Situation ja immer beschissener, wo bleibt da der große Unterschied?
    Mich irritiert auch die No-Schleife ganz rechts. soll wohl “zum nachdenken anregen”, ob man die Kreuzchen beim letzten Durchlauf richtig gesetzt hat
    insgesamt is das Schema aber geeignet zur Klassifizierung aller Werke, die in die hier thematisierte Richtung gehen. Dazu sind ja links auch Ansätze, wie gesagt die bessere Seite :D

    oder man könnte aber mal ein postapokalyptisches szenario schreiben, das letztlich in eine wirkliche utopie führt. . . damnit, zuviele ideen ;D

    LG Grüße Iuri

    (sry das ich so doof schreiben mus, aber meine Tastatur hier is ziemlich mies, was ja noch keine Dystopie is- – - )

  5. übrigens find ich das “good luck with that” das interessanteste outcome. . . wenn man sich das 20. jahrhundert anschaut, befinden wir uns in D-Land, aus deutschnationalistischer Perspektive* freilich, in einer postapokalyptischen Situation. Zur Apokalypse sie zB Buchheims “Die Festung”.
    (würde werdende Apokylypse noch unter Dystopie fallen? wenn man alles in einen Topf schmeißt eben schon!)

    Ich find aber: man kommt mit dieser Trennung nicht weiter. auch wenn ich die vermutliche Empörung des Grafikers über literarisch halbgebildetes Feuilletongesocks, das alle naslang “Dystopie! Dystopie!” schreit, verstehn würde – ich würde eben gerade alles dem gebräuchlichsten Begriff unterordnen, dann kann man apokalyptische, postapokalyptische, ja selbst alternativ-historische Werke wie “Fatherland” dem subsumieren. das bildet dann aber nur grobe Kategorien, manche Szenarien passen wohl in mehrere.
    Das hilft allerdings nicht weiter bei der Frage, zu was man solche Kategorien überhaupt braucht. Ich schätze, man fährt mit einem “Tags”-System insgesamt besser.
    Eigentlich gehts doch vor allem darum, Anfängern orientierung zu geben, was im Allgemeinen “Endzeit/Dystopie/Schreckensvision” das spezifizierende bringt – wenn er sich übrhaupt theoretisch damit befassen möchte.

    LG Grüße J

    zB Mad Max: Aus unserer Sicht fängt der erste Teil als alternative Historie an (damals nicht!! damals war er genuin Endzeitlich!), der Zweite ist bereits postapokalyptisch und der dritte soweit in eine Anderswelt-Vorstellung/-Episode (so nennt man das in Mediävistik ;D ===>) vorangeschritten, dass man ihn schon als Fantasy bezeichnen müsste.
    Man kann aber das alles noch als Sci-Fi im weitesten Sinne einordnen.

    *und die ist gar nicht so selten, sozusagen auch ne Art Schleife, wenn man sich die Antworten im SPON-Forum auf Globalisierungs-, Eurokrisen-, Extremismus- oder Integrationsprobleme, also alles was halbwegs über den Tellerrand hinausgeht, ja selbst die aktuelle US-Verschuldungsproblematik , ansieht.

  6. Ich versuche mich jetzt mal zu einigen Punkten zu äußern :)
    Utopie und Dystopie zeigen die gleichen Merkmale – erst die (vom Autor antizipierte) Haltung des Lesers macht eine Utopie zur Utopie und eine Dystopie zur Dystopie. Ich stimme zu, dass man unsere heutige Gesellschaft aus einer gewissen Perspektive als “schlechten Ort” bezeichnen könnte.
    Ich kämpfe immer noch mit den Definitionen: Sei der Fall gesetzt, ein heutiger Autor mit Hang zu totalitären Ideologien schriebe für die Anhänger einer totalitären Ideologie eine Anti-Utopie. So schilderte er keine geschlossene Gesellschaft, sondern eine offene. Wäre dieses etwa kein “Ort” im Sinne der Definition?
    Innerhalb der Literaturwissenschaft besteht die Neigung, den Begriff der Dystopie derart zu verengen, dass er nur auf totalitäre bzw. geschlossene Gesellschaften zutrifft – weil die meisten Utopien (aber eben nicht alle!) geschlossene Systeme zeigen… meiner Ansicht nach wird damit der Begriff auf eine historisch gewordene Form der Dystopie – die sogenannte klassische – verengt. Das mag aus unserer heutigen Sicht (Demokratie!) ja zutreffend sein, insbesondere wenn man sich die Bedeutung des typischen Erzählmusters etc. anschaut, doch sollte damit gerechnet werden, dass andere Zeiten andere “schlechte Orte” haben. Für diese läge hinter dem “Your World is freaking awsome” tatsächlich der eigentliche böse Ort. Eine solche Definition von Dystopie wie im Schema ist nur statthaft, wenn man sagt: ALLE UTOPIEN SIND TOTALITÄR…. das Wesen der Utopie selbst ist totalitär. Aber das glaube ich nicht…

    Fatherland als dystopischen Roman zu bezeichnen, habe ich tatsächlich wenig Probleme: Zum einen entspricht die Wandlung Hauptfigur den Anforderungen, zum anderen ist die Gesellschaft tatsächlich fiktiv – in dieser Form hat es sie historisch nicht gegeben. Auch der Umgang mit Geschichte im Werk ist hier interessant. Natürlich kann man sagen: uchronische Romane sind per se keine Utopien – die Quelle der Uchronie ist nicht die Quelle der Utopie und Science Fiction ist sowieso etwas ganz anderes… (das stärkste Argument wäre: Hier gibt es keinen anti-utopischen Impetus… aber das würde bedeuten, man spräche der NS-Ideologie ab, die Umsetzung einer Utopie verfolgt zu haben…) aber was bringt das in einer Zeit, in welcher die Genre bunt gemischt werden… Weiterhin: wenn man anfängt historische Dimensionen (Quelle) mit der von Struktur und Aufbau (Merkmale) und der Haltung des Autors (Wirkungsabsicht) zu vermengen, dann wird man – fürchte ich – nie zu einer Lösung kommen.

    Gemeinsam ist vielen Werken, ob Dystopie, Endzeitroman, Katastrophenroman, apokalyptischer Roman, dieser anti-utopischer Impuls. Er lässt sich eben nicht nur in den “klassischen Dystopien” finden, wie sie das Schema links ins Auge fasst. Unter diesem Gesichtspunkt kann ich gut damit leben, zu sagen: Das ist alles irgendwie anti-utopisch. Gerade das ist es ja, was Golding in Herr der Fliegen sagen will: Der Mensch ist noch wie vor 100.000 Jahren – da ändert sich nichts… ihr habt euch nicht geändert… macht euch keine Illusionen.

    Gerade für jemanden, der die Genres nicht zu trennen weiß, sollte man zeigen können: Hier guck mal, das ist etwas anderes. Dabei braucht man aber nicht pedantisch sein… Ich glaube außerdem, dass man viel durch eine saubere Kategorienbildung über die einzelnen Genres lernen könnte – deshalb würde ich es auch begrüßen, wenn es gelänge… wird es aber vermutlich nicht.

  7. Die Diskussion über die Frage, ob BNW als Anti-Utopie geschrieben wurde oder nicht, ist mir bekannt, allerdings ist Huxley betreffs der Inseln für Intelektuelle und der Qualität seines Werkes anderer Auffassung… worin liegt ihrer Ansicht nach genau die Qualität?

  8. also zunächst auf die letzte Antwort geantwortet:

    Das is eben das Schöne, diese Ambivalenz. . . das ist jetz aber auch´ein Exkurs: auch bei Beckett und Bernhard gibts so pessimistische, sinnentleerte Entwicklungen, dass das ganze bereits wieder an ästhetischem Reiz gewinnt.
    Bei BNW ist es, dass sich da einer die Mühe macht, eine perfekte Welt zu phantasieren, und dann weiß man am Ende nicht, ob das nicht ne Art Hölle wäre, wenn so Intelektuelle (nach Th. Bernhard ist man definitiv ein Intelektueller, wenn man nicht einen Nagel gerade in die Wand hauen kann ;D ) zwar lustig auf ihren Inseln (Oho! Geschlossene Gesellschaft zweiten Grades innerhalb der ersten!) vor sich hinspintisieren dürfen, aber letztendlich ohne Efffekt . Man könnte jetzt hingehn und sagen, “dass man die exiliert, geht darauf zurück, was passiert, wenn´Philosophen die Welt verändern wollen. . !” – aber 1. konnte Huxley noch nicht die Pervertierung des Marxismus-Leninismus durch den Stalinismus absehen und 2. kam 1984 ja erst später. . . Da seh ich widerum eine Ironie, die aber AH gar nicht hat einplaenen können.
    Angeblich (IMDB) wird das von Riddley Scott gerade zu verfilmen versucht, naja wird man noch sehn was dabei rauskommmt . . . .

  9. PS Kurzantwort auf Robs erste:
    Richtig es hängt nicht nur vom hi´storischen Leserstandpunkt ab, son´dern (“World is freakin Awesom”) auch von der Identifikation mit dem Protagonisten, und dieser widerum selber von der Perspektive des (ob er will oder nicht historischen) Lesers: Mit wem hätten sich die Personen aus Steinbecks Grapes of Wrath wohl JEWEILS identifiziert, hätten sie BNW zu Lesen bekommen. . ?

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