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Rezension von Marco Rauchs Hard Boiled
Eine Buchbesprechung von Tilly Jones
In „Hard Boiled“ erzählt Marco Rauch eine sehr dunkle Geschichte, die von Gewalt, Tod, Drogen und Sex geprägt ist.
Inhalt
Die Geschichte beginnt auch schon sehr gewalttätig. Zwei Männer foltern einen anderen um an Informationen zu kommen. Nachdem sie die gewünschten Infos haben, wird der dritte Man getötet. Der namenlose Protagonist besorgt sich danach seine Morphintabletten in einem Hochhaus, was zeitgleich als Spielhalle fungiert. Während ihm ein junges Mädchen ins Auge fällt, lässt er den Doktor auf sich einreden, denn diese Tablettendosis muss reduziert werden. Als der Protagonist vor dem Haus steht, spricht ihn das junge Mädchen an und sie landen bei ihm zu Hause. Von nun an wird er dieses Mädchen nicht mehr los und sein bisheriges Leben nimmt eine ganz andere Richtung an, die er für sich geplant hatte.
Die Welt von Hard Boiled
Die Welt, wie wir sie kennen, ist anscheinend untergegangen. Einzelne Städte und ganze Länder haben sich wortwörtlich abgegrenzt. Eine Einreise ist kaum mehr möglich, außer man hat Beziehung. Oder Geld. Am besten beides. Der Ort der Handlung beschränkt sich auf Wien, auch wenn hier und da noch von anderen Orten erzählt wird. Die Darstellung der untergegangenen Welt ist klasse. Man liest sogar zwischen den Zeilen, dass an allen Ecken die Gewalt vorherrscht. Das spiegelt sich auch in dem immer bewölkten Himmel, den ständigem Regen und dem Dreck an jeder Straßenecke. Müll häuft sich entlang der stinkenden Donau. Für tiefe Gefühle, Mitleid oder gar Liebe ist kein Platz. Wien wird von „Firmen“ kontrolliert, die eindeutig das Sagen haben. An dieser Stelle erfährt man aber leider nicht, warum die Welt in Schutt und Asche liegt. Hier und da wird zwar von einem Krieg gesprochen, aber auch dazu erfährt man nichts Näheres. Was diese Firmen kontrollieren oder wie sie dazu gekommen sind, erfährt man ebenfalls nicht.
Einerseits ist das wirklich schade, andererseits reduziert der Autor damit die Geschichte auf das Nötigste. Er zeigte mir nur einen kleinen Ausschnitt aus dem Leben seines Protagonisten, ohne jedoch Hintergrundinformationen zu verraten. Hier bin ich bis jetzt etwas gespalten. Auf der einen Seite fehlen mir einfach wichtige Informationen um die Handlungen der agierenden Figuren nachzuvollziehen. Wie ist der Protagonist zu dem geworden, was er ist? Woher kommen diese „Firmen“? Warum ist die Welt so wie sie ist? Nicht mal kleine Andeutungen werden eingestreut, damit ich mir als Leser vielleicht selbst etwas zusammen raten kann. Auf der anderen Seite geht es wirklich nur um den namenlosen Protagonisten, den ich nur ein kleines Stück begleiten durfte. Ich erfuhr viel über ihn, seine Mitmenschen und das Miteinander unter den noch Lebenden, trotz der fehlenden Hintergrundinformationen.
Ein paar kleine Logikfehler fand ich dennoch:
„Am Himmel hängen schwere, dicke Regenwolken. Grau und teilnahmslos schweben sie dort schon seit einer Ewigkeit und sorgen dafür, dass keiner unter diesem Himmel die Sonne oder den Mond je wieder zu Gesicht bekommen wird.“ (Seite 7)
„Als wir damit fertig sind, haben die heraufziehenden Wolken den Himmel weitestgehend verdunkelt. Das tiefe, dunkle Blau der Wolken verschmilzt mit dem Blau des Horizonts und lässt alles wie ein einheitliches Gebilde erscheinen, das nahtlos ineinander übergeht.“ (Seite 52)
Immer wieder wird erwähnt, dass der Himmel dauerbewölkt ist. Niemand sieht die Sonne oder den Mond. Und dennoch wird in dem zweiten Zitat auf den blauen Himmel eingegangen. Das fand ich seltsam, denn allein schon die Tatsache, dass der blaue Himmel nicht mehr sichtbar ist und Wolken auf die Welt herunterdrücken, macht viel der düsteren Stimmung aus.
Die Hauptfigur
Der Protagonist (im Folgenden Mister X genannt) wird als Schlägertyp/Auftragsmörder dargestellt, der wenn nötig, jeden tötet der sich ihm in den Weg stellt. Ohne Probleme kann er nur mit einem Messer bewaffnet fünf Kerle abschlachten und geht vollkommen ohne Verletzung aus dem Kampf hervor. Davon gibt es ein paar Szenen, welche die Glaubwürdigkeit des Protagonisten herabsetzen. In diesen Szenen wirkt er eher wie Superman, anstatt seinem Bild als älterer, von Morphintabletten abhängiger Mörder gerecht zu werden. Auch hier bin ich wieder gespalten, denn das Bild von ihm ist eigentlich einschlägig, dennoch werfen diese Kampfszenen seine Glaubwürdigkeit über den Haufen und lassen ihn etwas zu sehr überzeugt von sich selbst erscheinen.
Einen Namen, Alter oder Aussehen erfährt man indes nicht. Während des Lesens wird zwar klar, dass er älter als 16 sein muss, viel älter, aber das war es auch schon. Diesen Umstand fand ich erfrischend! Ich könnte mir aufgrund der Taten und des Gesagten von ihm, selbst ein Bild zusammen stellen. Somit hat jeder, der dieses Buch liest, einen eigenen Protagonisten vor Augen. Anfangs dachte ich, dass es schwer werden könnte, einen Bezug herzustellen, aber diesen fand ich ohne Probleme. Die Ich-Form generiert an einigen Stellen zwar Wiederholungen dafür habe ich mich doch recht schnell in die Psyche des Mannes “eingelesen”.
Skrupel oder ein Gewissen sind ihm nur noch sehr schwach in Erinnerung und kommen kaum noch zu Tage. Er tut, was getan werden muss, ohne es zu hinterfragen. Seine Handlungen sind nicht immer nachvollziehbar, was aber eben daran liegt, dass null Hintergrundinformationen gegeben werden.
Es fällt mir schwer, meine Empfindungen in Worte zu fassen. Ich möchte hier ebenfalls noch einmal erwähnen, dass es einerseits kompliziert war, mit dem Protagonisten umzugehen – aufgrund der fehlenden Hintergrundinfos – andererseits war der Schreibstil des Autors sehr aussagekräftig. Er zeigt ein Bild eines namenlosen Protagonisten allein anhand dessen Handlungen. Ich will damit sagen, dass die Art und Weise des Geschriebenen gleichzeitig eine gute und schlechte Seite hat und mich als Leser in meiner Meinung Zwiegestalten zurücklässt; z.B. Beispiel:
„Während ich quer durch die Stadt zu Mikes Wohnung fahre, wird mir klar, dass mir Amanda viel bedeutet und ich sie erstaunlicherweise sehr gern habe, mehr als ich mir zunächst eingestehen wollte.“ (Seite 37)
Wie gesagt ist Mister X kalt, ihn interessiert es nicht, wenn jemand zu Tode gefoltert wird. Aber nach einer Nacht ist er sich sicher, dass ihm Amanda mehr bedeutet, als ihm klar war. Warum ist das so? Des Weiteren verschont er einen Mann, bei welchem er denkt, er sei Unschuldig, schlachtet aber ein Haus voller Menschen ab, die vielleicht etwas getan haben könnten, dass ihm nicht passt? Ich denke, dass man mit mehr Informationen über ihndiesen Gedankengang besser hätte nachvollziehen können. Die Szene davor verdeutlicht aber zugleich, dass in dieser Welt kein Platz mehr für Gefühle ist und der Protagonist alles so annimmt, wie es geschieht. Sie sitzen im Auto. Er hat sie zur Schule gefahren und beide sind zu spät dran:
„Kurz darauf kommt ihr Kopf hoch und sie schluckt runter. Sie setzt sich am Beifahrersitz auf. Ich mache mir die Hose zu.“ (Seite 37)
Sehr gut, trotz der Verwirrung die die Schreibweise hervorgerufen hat, sind die kurzen Sätze, die hervorragend die Atmosphäre widerspiegeln. Der Autor verzichten auf unnötige Wörter, was meistens sehr gut zum Inhalt der Geschichte passt.
Noch etwas, das mich irritiert hat, war folgendes: Mister X sucht sich Männer für eine Übernahme einer fremden Lieferung. Es wird betont, dass diese Männer diszipliniert und trainiert sind. Sie reißen nicht unkontrolliert die Waffen während des Verteilens an sich (Seite 46). Eine Seite weiter wird aber oft erwähnt, dass diese Männer nervös sind, Angst haben und sich dadurch sogar übergeben müssen. (Seite 47). Anscheinend machen sie so einen Überfall/eine Übernahme der Lieferung für eine andere Firma nicht das erste Mal – warum sind sie also erst diszipliniert und dann übergeben sie sich in die Büsche (Seite 49)?
Die Anmerkungen mit dem Himmel und den Männern sind jetzt nur zwei Beispiele, es gab noch ein paar andere Stellen, an denen die Logik von zuvor aufgestellten Äußerungen zunichte gemacht wurde.
Auch das fehlende Ende der Vorbereitungen auf diese Übernahme der Lieferung fand ich enttäuschend. Ich las, wie die Männer nervös waren, wie darauf gewartet wird, das die LKWs auftauchen – und dann endet das Kapitel. Im nächsten geht es dann gleich mit der Versorgung der Verletzen weiter, die in der Verfolgungsjagd getroffen wurden. Die Geschichte hat zwar durchweg einen relativ hohen Spannungsbogen, aber so kurz vor einem wirklich heiklen und deshalb spannungsreichen Moment abzubrechen und diesen dann einfach zu übergehen, nimmt mir als Leser die Lust am Lesen, denn genau das wäre wirklich interessant gewesen. Und von solchen Übergängen gab es leider einige.
Wenn die Handlungen auch meistens nachvollziehbar sind (jedenfalls dann, wenn die Protagonisten agieren und reagieren), so gibt es doch auch hier und da ein paar Szenen, in denen mir ein „Was?“ herausgerutscht ist. Zum Beispiel ab Seite 169, in der sich Mister X in einer Bar zusammenschlagen lässt, nachdem er sich mit einem Bekannten unterhalten hat. Mister X möchte einen Gefallen von ihm, der andere lehnt ab. Nachdem sich Mister X hat zusammenschlagen lassen, nimmt sein Bekannter den Auftrag doch an. Warum tut er das? Die Erklärung für die geänderte Meinung geht unter, auch wenn ich die plötzlich aufkommende Gewalt verstehen kann, da sie wiederrum ein Produkt der brutalen Welt ist.
Am Ende sind es natürlich einige Leute, die sterben mussten. Auch wenn diese Welt brutal, erbarmungslos und äußerst dunkel ist, kann ich auch hier einige Morde nicht nachvollziehen. Außerdem fehlten mir Auflösungen einiger Konflikte, die erklärende Bedeutung der Beziehungen zwischen einzelnen Protagonisten und, immer noch, die Hintergrundinformationen. Wenn am Anfang der Geschichte wenig erzählt oder verraten wird, so wird es gegen Ende immer weniger, was man erfährt. Der Autor lässt den Leser nicht mehr an den Entscheidungen teilhaben, die Mister X trifft, sondern stellt uns vor vollendete Tatsachen. Gedankengänge werden übersprungen oder durch verwirrende Dialoge ersetzt. Das Ende in Bezug auf die Geschichte ist wiederrum passend. Es schließt mit den Protagonisten ab. Im Grunde ist es ein gutes Ende, aber ohne Happy End.
Fazit
Der Autor baut mir viel Mühe und ohne störende Adjektive eine brutale und schonungslose Welt auf, die er gekonnt am Leben erhält. Es gibt nicht eine Seite, auf der die grausame Atmosphäre verloren geht. Allerdings hat mich diese Geschichte immer und immer wieder innerlich zerrissen. Meistens war ich mit mir selbst nicht einer Meinung. Wenn ich zum Beispiel das Fehlen der Hintergrundinfos störend fand, war genau dieser Umstand an einer anderen Stelle perfekt eingearbeitet. Einmal angefangen fand ich mich dann recht schnell in einer überaus düsteren Welt wieder, die keinen Platz für tiefe, zwischenmenschliche Beziehung lässt. Hard Boiled zeigt auf eine wirklich grausame und erbarmungslose Art, was aus den Menschen wird, wenn die ganze Welt in Chaos und Gewalt versinkt. Denn auch wenn Gefühle auftauchen, sie werden nicht wirklich erkannt und die Menschen reagieren so, wie sie es kennen: Mit einer ganzen Menge an roher Gewalt.
Eigentlich habe ich nach dem Lesen immer ein direktes und klares Bild von der Geschichte. Hier würde ich aber nur unter Vorbehalt eine Leseempfehlung für „Hard Boiled“ vergeben, da mir doch im Großen und Ganzen einfach zu viel fehlte. Hintergrundinformationen, Gedankengänge und Erklärungen für Handlungen könnten, wenn schon nicht explizit dargestellt, wenigstens am Ende der Geschichte subtil eingebracht werden und die Geschichte dadurch besser nachvollziehbar sein.