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Rezension zu Ben Winters Der letzte Polizist
Eine Buchbesprechung von Michael
Um ehrlich zu sein, geht meine Faszination für Dystopien und apokalyptische Szenarien von einer simplen, zugegebener Maßen etwas überheblichen Annahme aus, nämlich: ich würde überleben.
Wenn das Benzin knapp wird und die Staaten zerfallen, würde ich selbstverständlich als einsamer Wanderer mit Shoulderpads im Interceptor durch die Wüstenei ziehen. Wenn die Toten wieder aufstehen und den Lebenden hinterher wanken, dann bin ich natürlich keinesfalls ein Zombie, sondern der Typ mit dem coolen Kostüm und dem Baseball-Schläger mit Nägeln drin. Wenn die Bombe fällt, sitze ich selbstredend gemütlich im Bunker und warte bei lecker Dosenfutter darauf, dass der Fallout abklingt, und ich mit Gasmaske kleinere Wanderungen durchs Mutantenland unternehmen kann.
Was aber, wenn das Ende der Welt genau das ist – das absolute Ende der uns bekannten Welt. Kein Schlupfloch. Keine Arche oder Bunker, der dich rettet. Aus und vorbei, zu einem fixen Datum in nicht allzu ferner Zukunft? Was würde jeder Einzelne von uns tun? Wie würde sich die Welt in ihren letzten Tagen verändern? Welchen Sinn hätte dann noch alles?
It’s the end of the world as we know it …
Genau dieses Szenario entwirft Ben Winters in seinem Roman Der letzte Polizist. Ein Asteroid hält auf die Erde zu. Unabwendbar. Kein Bruce-Willis-Haudegen-Team kann den Brocken sprengen oder ablenken. In sechs Monaten kommt das Ding runter. Und dann spielt es keine Rolle, ob man direkt beim Einschlag stirbt oder erst einige Wochen danach an den klimatischen Folgen des Einschlags – Kälte, Dunkelheit, Absterben allen Lebens. Die Menschheit sieht sich ihrem Ende gegenüber, und jeder stellt sich für sich die Frage: was fange ich mit diesem Wissen an, und der Zeit, die mir noch bleibt?
Da gibt es nicht wenige Menschen, die sich in religiöse Heilsversprechen flüchten. Andere schmeißen alles hin und tun das, was sie eigentlich schon immer tun wollten: fremde Länder bereisen, Kunst, ein Instrument lernen, Drogen ausprobieren oder sich ausgefallenen Sexualpraktiken hingeben. Viele zerbrechen an dem Wissen und bringen sich um. Und einige wenige machen so weiter wie bisher. Aus Mangel an Alternativen vielleicht. Oder tatsächlich aus Ehrgefühl Pflichtbewusstsein, und weil sie ihren Job mögen.
So wie Detektive Henry “Stretch” Pallace vom Concorde Police Departement. Der immer Polizist werden wollte. Und seine große Chance bekommt, als es eigentlich schon zu spät ist. Aber das hält ihn nicht davon ab, bis zum letzten Tag einen guten Job zu machen, auch wenn er von seinen wenigen noch gebliebenen Kollegen dafür nur müde belächelt wird. Denn Unrecht bleibt für ihn Unrecht, auch wenn die Tage gezählt sind.
Eines Tages wird er zu einem neuen Fall gerufen. Der Versicherungsmathematiker Peter Anthony Zell wurde tot in einer McDonalds-Filiale gefunden. Offensichtlich ein “Hänger” – Selbstmord also. Wie so viele in diesen Tagen. Nichts besonderes mehr. Peter Zell ist ein unbeschriebenes Blatt, ein Mensch ohne nennenswertes Privatleben, schüchtern, Single, Zahlen-Freak. Von niemanden wirklich vermisst. Klassischer Sebstmordkandidat eben. Akte geschlossen. Aber Henry Palace hat da so seine Zweifel. Einige wenige kleine Details passen nicht zusammen. Also stellt er seine Nachforschungen an, denn Mord bleibt für ihn Mord, auch wenn uns morgen der Himmel auf den Kopf fällt. Und legt gegen alle Widerstände Schicht für Schicht die Geschichte um die letzten Tage des “Niemands” Peter Zell frei.
… and I feel fine!
Wenn 2014 mehr solcher Bücher bringt wie diesen zum Jahreswechsel erschienenen Roman, dann steht uns Großes bevor.
Ben Winters hat den Dreh raus, vor dem Hintergrund eines ausweglosen Infernos eine sehr kleine, fast unbedeutende Geschichte zu erzählen. “Der letzte Polizist” ist im Prinzip ein Krimi, ein bisschen mit Noir-Hauch bestäubt, eingebettet in einem ohnmächtig düsteren, ausweglos tristen Szenario, das über allem und jedem wie ein Damoklesschwert schwebt. Dieses Szenario wird so glaubhaft beschrieben, dass man fast das Gefühl einer Dokumentation hat. Ich glaube tatsächlich, dass es auf der Welt exakt SO zugehen würde, wenn sich ein solches Ereignis ankündigen würden – bis hin zu den (Achtung, kleiner Spoiler) gewohnt nervigen Radiostationen, die alle naslang diesen einen Song von R.E.M. spielen müssen. Darüber hinaus ist Der letzte Polizist ein Buch, in dem man sofort drin ist. Bereits nach wenigen Sätzen kommt man nicht umhin, den Schreibstil und insbesondere Detektive Pallace zu mögen. Ab dann kann man die Geschichte eigentlich kaum mehr aus der Hand legen, und selbst ich als mittlerweile leider sehr langsamer Leser hatte die Story in Nullkommanichts verschlungen. Wenn ich irgendetwas Negatives an dem Buch finden müsste, dann nur, dass ich mir als in Verschwörungstheorien geschulter Leser sehr sicher war, wie das Buch enden würde – und dann doch alles anders kommt. Aber man kann dem Buch ja schlecht vorwerfen, dass es nicht “meine” Geschichte erzählt hat.
Wer vom Genre “Krimi” im weitesten Sinne nicht per se abgeschreckt ist, für den ist Ben Winters Der letzte Polizist eine sichere Bank. Der Hintergrund der Geschichte ist dann eine Dreingabe für Genre-Fans, ein Bonus und eine Leinwand, auf der ein lakonisches, aber nie böses Gesicht unserer Welt gezeichnet wird. Wunderbar stimmig in den Details, traurig und trotzdem hoffnungsvoll, voll stillem Humor parallel zur permanenten Tragik. Wer Vergleiche braucht: in seiner sympathisch-niveauvollen Einfachheit und Unaufdringlichkeit erinnert das Buch streckenweise an Hugh Howeys SILO. Absolute Kaufempfehlung.
Anmerkung: In Amerika hat die Geschichte um den letzten Polizisten bereits mit Countdown City ihre Fortsetzung erfahren, Teil 3 World of Trouble wird im Sommer 2014 erscheinen. Es bleibt zu hoffen, dass die Verkaufszahlen in Deutschland gut genug für die Übersetzungen der beiden Folgetitel sind. Das Cover der Heyne-Verlags-Version lässt nicht unbedingt auf eine Serie schließen.