Peter Watts: Wellen

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Der Leviathan ist erwacht: Rezension zu Peter Watts Wellen

Eine Buchbesprechung von Stefan Cimander

Mit Wellen beendet Watts die Trilogie (im englischen Original ist es übrigens eine Quadrologie: Starfish, Maelstrom, Behemoth: B-Max und Behemoth: Seppuku) über das Leben der Rifterin Lenie Clarke und das Überleben in einer computertechnisch, gentechnisch und biologisch angepassten Welt des Jahres 2050-2056, die von der Mikrobe Behemoth terrorisiert wird.

Inhalt

Fünf Jahre sind seit den Ereignissen in Mahlstrom vergangen – fünf Jahre, in denen viel geschehen ist, in der sich die Welt und N’AmPaz im Besonderen verändert hat. Lenie Clarke und die andere Rifter leben im Atlantik nahe Atlantis – der Unterwasserstation, in der sich die Firmenbosse aus N’AmPaz vor Behemoth und speziell vor ihren Häschern verbergen. Clarke hatte sie am Ende von „Mahlstrom“ aufgespürt und gedroht, sie zu töten. Fünf Jahre später bewachen die Rifter die Firmenbosse, wenngleich es innerhalb der Gruppe zu Differenzen über diesen Zweck kommt. Spätestens nachdem eine modifizierte Variante von Behemoth, ß-Max, die Rifter infiziert, die sich dank implantierter Fischgene immun wähnten, zerbricht das stillschweigende Friedensabkommen zwischen Bossen und Riftern und artet in einen Krieg aus. Einige Rifter beschuldigen die Firmenbosse, diesen neuen Erreger gezüchtet zu haben. Gleichzeitig entdecken Lenie und Ken, dass jemand von der Erdoberfläche sie aufgespürt hat und offenkundig den neuen Erregerstamm in die Tiefsee verbracht hat. Clarke und Ken brechen nach N’AmPaz auf, um denjenigen zu stellen, der ihnen auf die Schliche gekommen ist.

N’AmPaz liegt, isoliert vom Rest der Welt und unter Quarantäne stehend, in Trümmern. Konfrontiert mit Behemoth, setzten Ökonomie und Ökologie diesem nichts entgegen und Amerika gleicht einer feudalen, von Gewalt und Plünderung geprägten Anomie, die von der Entropiepatrouille, oder dem, was von ihr übrig ist, traktiert wird. Inmitten des Chaos gibt es stadtstaatenähnliche, sich abschottenden Siedlungen. Achilles Desjardins, vom Schuldgefühl befreiter Gesetzesbrecher, beherrscht mit seinen Gewaltmitteln de facto N’AmPaz. Um seine Macht ausleben zu können, beseitigte er alle anderen mit Spartakus infizierten Gesetzesbrecher, sodass er der einzige seiner Art bleibt. Dafür bekämpft er all jene, die N’AmPaz aus dem Würgegriff von Behemoth befreien wollen. Gleichzeitig kostet er seine sadistischen Gewaltfantasien an wehrlosen Opfern aus.

Auf ihrem Weg durch N’AmPaz entdecken Clarke und Ken, dass ein Gegenmittel, Seppuku, existiert, von Desjardins dagegen bekämpft wird, ohne dass die beiden dies erkennen. Clarke, die in „Mahlstrom“ unwissend Behemoth verbreitet hatte, ist von Selbstzweifeln, Depressionen und Reue ob ihrer Tat geprägt und ist beseelt von dem Wunsch, Behemoth zu vernichten. Sie verschafft den Menschen insofern Linderung, indem Sie vordringlich hilft Seppuku zu weiterzugeben und dann kurzzeitig in einer Art Krankenmobil durch die Gegend reist.

Am Ende erkennen Ken und Clarke, dass nicht mehr Behemoth, sondern der allmächtige Desjardins ihr Gegner ist, der überdies verantwortlich für ß-Max zeichnet. In einer fulminanten Schlussszene tötet Ken Desjardins.

Bemerkungen zu Wellen

War man in den ersten beiden Bänden, Abgrund und Mahlstrom, fasziniert von den immer neuen technischen Errungenschaften der Menschheit und der Art, wie sie sich die Erde untertan machten, fügt Watts anders in Wellen der Welt keine neue Aspekte hinzu. Vor dem Hintergrund des nicht erkennbaren Handlungsbogens und einer mäandernden Story, lässt dies Wellen zu einem schwachen Abschluss der Trilogie werden. Watts geht in der Beschreibung der Biologie auf und zeichnet wissenschaftliche Details, verliert dabei leider die Dramaturgie aus den Augen. Die Wirkungsart von Seppuku und die Folgen für das Leben auf der Erde bleiben dem Nicht-Biologien rätselhaft, da Seppuku das Leben augenscheinlich auf zellularer Ebene neu programmiert.

Erst im zweiten Teil von Wellen kommt Tempo in den Plot, allerdings komprimiert auf wenige Seiten. Dies wirkt beinahe so, als wollte Watts das Werk schnell abschließen, anders ist der Stilbruch nicht zu erklären.

Lenie Clarke, die Meltdown-Madonna, ist die eigentliche Hauptperson in der Trilogie, schade, dass sie in Wellen passiv auftritt und keine Entscheidungsgewalt mehr zu haben scheint. Überhaupt sind die Charaktere nicht eindeutig einem Gut-böse-Schema zuzuordnen, was die Trilogie unmerklich realistischer und insofern spannender macht, da der Leser vor plötzlichen charakterlichen Wendungen nicht gefeit ist. Die Charaktere stellen ein Spiegelbild der in der Welt grassierenden Hoffnungslosigkeit dar.

Fazit zur Trilogie

Ich bin, was die Trilogie betrifft, hin- und hergerissen, einerseits zwischen der Bewunderung, wie Watts (bio-)technologische und gentechnische Erkenntnisse und Entwicklungen der gegenwart realistisch in die Zukunft projiziert und zeigt, welche Anwendungen und Auswirkungen diese Entfaltung für Mensch und Umwelt hat, andererseits stoßen die Langatmigkeit, ein flacher Spannungsbogen und der verschlungene rote Faden bitter auf.

Positiv hervorzuheben ist ferner, dass der Meeresbiologe Watts am Ende der drei Romane seiner Trilogie die wissenschaftlichen Grundlagen seiner Welt darlegt und auf entsprechende Fachliteratur verweist. Erst nach dem Lesen dieses Anhangs löst sich bisweilen die Verwirrung um das von Watts Beschriebene. Diese Wissenschaftlichkeit ist gleichzeitig das Problem, denn der Otto-normal-Leser (und sogar wissenschaftlich belesene SF-Freaks) vermag Teile der biologischen Exkurse nicht zu verstehen, sodass bisweilen der Eindruck entsteht, man befände sich in einer Vorlesung an der Universität. Fremdwörter- und Biologielexikon sollten demnach im Regal nicht fehlen und möglichst griffbereit sein.

Mit dem Interzone-Zitat „Es wäre ein Fehler, Peter Watts nicht zu lesen!“ bewirbt der Verlag den Roman – dem ist zunächst beizupflichten, denn aus wissenschaftlicher und technischer Perspektive ist Watts mit seiner Cyber- und Biopunkwelt ein Meisterwerk gelungen. Freilich sollten potenzielle Leser ihre Erwartung nicht zu hoch ansetzen, denn auch eine technisch und wissenschaftlich überragend dargelegte apokalyptische Welt als Hintergrund, braucht einen stringenten und verständlichen Plot.

Korrektur zu meiner Mahlstrom-Rezension

Behemoth hat mitnichten den Mahlstrom infiziert. Diese Fehlinterpretation erkannte ich nach dem Lesen von Wellen und ist auf die erwähnten Verständnisprobleme zurückzuführen. Der Mahlstrom ist das Internet der Zukunft, nur ist dieses bevölkert von der sogenannten Internetfauna, das sind KIs, die ihr Unwesen im Netz treiben.